Auguste Rodins berühmtes Denkmal Die Bürger von Calais (1889) war vom Künstler ohne Sockel konzipiert. Jene Bürger, die die Niederlage und Eroberung ihrer Stadt erleben mussten, sollten auf einer Stufe stehen mit den Betrachtern.
Constantin Brancusi trieb von den 1910er Jahren an die Skulptur radikal Richtung Abstraktion – und machte den Sockel zum integralen Bestand des Werks. Um etwa die gleiche Zeit begann Marcel Duchamp, Readymades zu konzipieren – gefundene, industriell hergestellte Objekte, welche die Definition dessen, was eine Skulptur oder auch nur ein Podest war, nachhaltig in Frage stellten. In den 1960er und 1970er Jahren wurde der Skulpturbegriff noch mehr erweitert: Richtung Land Art und Architektur (mit der bekannten Formulierung von Rosalind Krauss: Skulptur im erweiterten Feld) oder soziale Interaktion (Joseph Beuys’ Rede von der »sozialen Plastik«); in Richtung einer Einbindung von Schreiben, Fotografie und Film (Robert Smithsons Diashows, Filme und in Kunstmagazinen publizierten Texte), in Performance (Gilbert & Georges Living Sculpture), Richtung Grauzone zwischen Objekt und Bild (Donald Judds Spezifische Objekte oder Nam June Paiks Videoskulpturen), sowie in Form einer Mischung von all dem (Dan Graham). Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Eva Hesse oder Yayoi Kusama erodierten während dessen die machistisch-männlichen Vorurteilsbildungen zur Skulptur, die phallische Ordnung des Bildhauers, der heroisch am vertikalen Block meißelt.
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte scheint sich Skulptur allerdings beinahe schon in Beliebigkeit aufgelöst zu haben – so ziemlich alles könnte eine Skulptur sein. Im Vergleich ist die Malerei – trotz ihrer zahllosen Erweiterungen und Radikalisierungen – beinahe leicht zu fassen. Jedoch scheint das Interesse wieder zu erwachen an der Geschichte der Skulptur, selbst an traditionellen Techniken und Produktionsmethoden, die im Zeitalter von Internet und Simulation oft wieder radikal und neu erscheinen. Kann man die Skulpturgeschichte auch nach »innen« erweitern? Was wäre eine heute brauchbare Definition, etwa in Hinblick auf die oft vage Unterscheidung von »Installation« und »Environment«? Welche Fertigkeiten brauchen Bildhauer wirklich? Und nicht zuletzt, wie könnte die Bildhauerei-Abteilung einer Kunstuniversität heute ihr Feld auf hilfreiche und anregende Art definieren?